"Tannhäuser" bei den Tiroler Festspielen Erl

Tannhäuser - Mein romantisches Ideal?

.... Fortsetzung

Ich habe also das letzte Mal versucht, den Begriff "Belcanto" unter anderem auf Richard Wagner anzuwenden. Die Sänger seiner Frühwerke waren Belcanto-Sänger, keine Hochdramatischen und Heldentenöre. Opern wie "Tannhäuser" und "Lohengrin" sind auch im Gesangsstil belcantesk angelegt. Und Freitag letzter Woche durfte ich den Beweis hören: die Premiere von "Tannhäuser" bei den Tiroler Festspielen Erl. Was war das für ein Belcanto-Fest! Der Ort ist prädestiniert: im Passionsspielhaus spielt das Orchester auf der Bühne, davor wird inszeniert und gesungen. Die Sänger müssen nicht über das Orchester hinweg "stemmen", können die fabelhafte Akkustik des Hauses für sich nutzen. Und wie Gustav Kuhn, Gesamtleiter der Tiroler Festspiele, Dirigent und Regisseur in Personalunion, sich seine Sänger ausgesucht hat, beweist total, dass der "Tannhäuser" eine Belcanto-Oper ist. Im Grunde könne man mit den Erler Sängern genauso eine "Norma" oder einen "Troubadour" aufführen: Luis Chapa hat sowohl den Pollione als auch den Manrico in seinem Repertoire, er gestaltet höchst musikalisch, mit viel Erfahrung aus dem italienischen Fach, die Partie des Tannhäuser. Einziges Manko ist sein unglaublich schlechtes Deutsch, das gerade die Rom-Erzählung im dritten Akt zunichte machte. Michael Kupfer legt den Wolfram als das an, was er ist: ein Sänger. Liedhafte Kantilene, ausdrucksstark in der Textverständlichkeit und purer Schöngesang charakterisieren den Freund und Mitleider Tannhäusers. Ein besonderes Lob gilt auch den beiden weiblichen Hauptfiguren (man spielt die Pariser Fassung, in der Venus und Elisabeth getrennte Rollen sind): Arpiné Rahdjian ist nicht nur eine Augenweide in ihrem güldenen Kleid mit engelsgleichen Flügeln. Ihr Gesang ist fantastisch leicht, sie "grüßt die Halle" mit Aplomb, setzt sich in den Ensembles mit Chor klangschön ab und die eindringlichste Szene des Abends gelingt ihr mit dem Gebet im dritten Akt. Auf einem Gebetsstuhl sitzend, verharrt sie in dieser Position bis zum Schluss, als Venus (Mona Somm markant mit dramatischem Mezzo) wiederkehrt und von der nunmehr Heiligen Elisabeth (von Thüringen) in einen überweiten Madonnenmantel eingehüllt wird: spätestens dann versteht man, was Kuhn der Regisseur mit einem "feministischen" Tannhäuser zeigen will. Zuvor symbolisieren Harfen, die sich auch in den Kostümen mit überstilisierten Schulterspitzen widerspiegeln, das Sinnliche, das Weibliche, den Gesang. Wohlgemerkt ist es ein kleiner zierlicher männlicher Harfenspieler (Antonio Ostuni), der dann die Minnesänger im zweiten Akt virtuos begleitet. Alles in allem war für mich die Pilgerfahrt nach Erl zu dieser "Tannhäuser"-Premiere eine kleine Offenbarung, die mir das Stück, welches ich persönlich im Wagner-Werke-Kanon immer hinten angestellt habe, nun viel näher gebracht hat. Es geht nämlich nicht um die tragenden dramatischen Momente in den Stimmen, sondern um die inneren Verstrickungen der Personen. Und da hat Wagner wirklich großartige Musik, aus dem Belcanto-Stil heraus, mit allen Emotionen und Ausdrucksmitteln geschaffen. Und das romantische Idiom des "Suchenden", dem wir bereits im "Don Juan" begegnet sind, erfährt hier eine Fortführung, aber keine Auflösung. "Tannhäuser" bleibt nämlich offen: das Pilgern (Büßen) hat nicht geholfen, Tannhäuser fährt nicht wie Don Juan zur Hölle. Und die Frauenfiguren, die ihn zuerst einzeln umklammerten, vereinen sich. Ihm wird nicht einmal die Möglichkeit der Reue geboten, kein "Pentiti" des Komturs erschallt. Tannhäuser kann Venus nicht mehr ertragen, scheitert an Elisabeths heiliger aufrichtiger Liebe und wird in Rom mit folgenden Worten sofort in Verdammnis geschickt: «Hast du so böse Lust geteilt,
dich an der Hölle Glut entflammt,
hast du im Venusberg geweilt:
so bist nun ewig du verdammt!» 
Tannhäuser scheitert, der Sänger, der Romantiker, der Künstler.