Klaustrophobie im Escorial - der neue "Don Carlo" an der Wiener Staatsoper

DON CARLO
Wiener Staatsoper

Premiere: 16.6.2012
Besuchte Vorstellung: 19.6.2012



Ziel der Staatsoper war es, die bestehende altmodische, durchaus repertoiretaugliche "Don Carlo"-Produktion von Pier Luigi Pizzi gegen eine neue, frischere Inszenierung auszutauschen. Das Ergebnis der Regie Daniele Abbados ist ein zwar funktionaler, aber doch eher eintöniger Abklatsch ohne großartige Neuerungen und Ideen, immerhin aber auch ohne ausufernde, ärgerliche Regiemätzchen. Das kann positiv sein, wenn man sich bei zukünftigen variantenreichen Besetzungen dann voll auf die Musik konzentrieren kann. Kann aber auch schnell langweilig wirken, wenn man mal nicht eine so aussagekräftige Sängerbesetzung zur Verfügung hat, wie im Falle dieser Premierenserie.

Wie sehr nicht nur das Publikum unter der ersten großen sommerlichen Hitzewelle Mitte Juni litt, merkte man gleich zu Beginn der vieraktigen Version des "Don Carlo" von Giuseppe Verdi. Gerade die sensiblen Hörner machten die hohe Luftfeuchtigkeit spür- und hörbar. Das Vorspiel war nicht ganz rein intoniert. Man verzeiht diesen wackeligen Start aber gerne, wenn man weiss, wie empfindlich die Blasinstrumente auf unterschiedliche Raumtemperaturen reagieren. Franz Welser-Möst, Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, dirigierte das erste Mal Verdi an seinem Haus. Vorrangig konzentriert sich der Maestro scheinbar auf eine von ihm durchdachte Tempowahl, setzt weniger auf richtige Italianitá und spannt auch sonst keinen sonderlich großen Bogen über das Werk. Effektvolle, auf Ziel gesteuerte Aktschlüsse und spannungsgeladene Chorensembles vermisst man leider. Dafür versteht sich Welser-Möst auf die Zeichnung intimer Szenen: im Gedächtnis bleiben das temperamentvolle und zackige Schleierlied von Prinzessin Eboli (hinreissende Piani von Luciana d'Intino), das sehr kantable und innige Freundschaftsduett Carlo-Posa, sowie die oftmalige Akzentuierung von Bläser- und Streicherfiguren in ariosen Passagen, die hörbar machen, wie sehr die Wiener Philharmoniker die "Carlo"-Musik verinnerlicht haben. Eher spannungslos waren Ensembles wie das Terzett Posa-Carlo-Eboli, das Concertato in der Autodafé-Szene und das Quartett im dritten Akt. Hier würde man sich eine bessere Sängerführung wünschen.

Sängerdebüts und gereifte Leistungen

Sängerisch war der Abend durchwegs eine Glanzleistung. Allen voran überzeugte von Anbeginn an Ramon Vargás als Don Carlo und gab damit sein Rollendebüt an der Wiener Staatsoper. Er gestaltet gleichsam Lyrismen genauso wie heldische Ausbrüche und kann sogar eine musikalische Charakterisierung der schwierigen Figur zwischen resignierender Naivität und pubertärer Aufmüpfigkeit glaubhaft darstellen. Krassimira Stoyanova singt erstmal die Elisabetta. Ihr Sopran ist tragfähig, edel und raumfüllend. Sie klingt nie forciert, hat auch wenig Anstrengung in Höhe und Tiefe. Als selbstbewusste Figur interagiert sie auf der Bühne, stellt sich sogar gegen ihren Mann, König Phillip II., bei der Abschiedsszene ihrer Hofdame. Die große Arie "Tu che le vanitá" singt sie in der klaustrophobischen Enge eines Lichthofes, stimmlich lyrisch und warm. Carlos Freund und Vertrauter Marquis von Posa ist der routinierte Simon Keenlyside, einer der besten Interpreten dieser Rolle unserer Tage. Seine Baritonstimme wird klug geführt und verströmt Verdischen Belcanto. Er passt sich den anderen Stimmen wunderbar an, z.B. im Duett mit Ramon Vargás und bleibt in den Ensembles immer solistisch wahrnehmbar. Eines der zentralen Stücke des "Don Carlo" ist die Unterredung Phillips mit Posa. Hier wird Posa zum Revolutionär, der herrschsüchtige König zum emotionalen Schwächling auf der Suche nach einem Vertrauten. Das ist René Papes erster großer Auftritt. In die Rolle des Phillip ist er hineingewachsen. Vor zehn Jahren bereits hat er ihn u.a. in Salzburg gesungen. Vielleicht noch zu jung damals, aber jetzt, gereift an Rollen wie Marke und Wotan - leidenden großen Männern bei Wagner - ist Pape stimmlich zu großartigen Nuancen fähig. Wut, Zorn, Trauer, Angst - alles vereint sich in der edlen Bassstimme. Seine Arie "Ella giammai m'amo" am Anfang des dritten Akts gerät wiederum nur durch leichte Asynchronität in der Tempowahl etwas aus den Fugen. Danach großer Applaus - nicht zuletzt aus Trotz gegenüber einem in die letzten Takte hinein störenden Handy- Klingeltons á la Bonanza. Danach trifft Pape auf Eric Halvarsson als Großinquisitor. Bedrohlich in Aussehen und Stimme beharrt er auf der Machtlosigkeit des Königs gegenüber der Kirche. Luciana d'Intino gibt die Prinzession Eboli. Sie hat die Rolle bereits in den Neunzigern an der Scala unter Riccardo Muti und später auch immer wieder an der Wiener Oper gesungen. Ähnlich wie bei Pape lässt sich ein Reifeprozess feststellen. Auch wenn sich Registerbrüche von der Tiefe bis zur Höhe bemerkbar machen, vermag d'Intino gerade in ihren beiden Paradearien - dem Schleierlied und dem "Don fatale" das Publikum mit Dramatik und musikalischem Gespür zu begeistern. In den Nebenrollen agieren Ileana Tonca (Tebaldo), Dan Paul Dumitrescu (Mönch), Carlos Osuna (Lerma) sowie die lupenrein klingende Stimme aus dem Himmel von Valentina Nafornita dem hohen Sängerniveau entsprechend.

In den kommenden Besetzungen des "Don Carlo" im Repertoire der Staatsoper wird man feststellen, dass man sich voll und ganz auf die hochwertige musikalische Ausführung konzentrieren kann/muss. Denn Daniele Abbado, Sohn des Dirigenten Claudio Abbado, hat ganz mit der Musik Regie geführt. Es ist ihm gemeinsam mit dem Bühnenbildner Angelo Linzalata zwar kein großer Wurf gelungen, dennoch kann die Staatsoper und ihr Publikum diesen, vor allem durch effektvolle Licht-/Schattenwirkungen ästhetisch inszenierten "Carlo" durchaus wertschätzen. In Zeiten modernen Regietheaters sollte man sich klug überlegen, wen man an welche Werke ranlässt. Zumal es in Wien auch die französische Originalfassung in der exemplarischen Produktion von Peter Konwitschny zum Vergleich gibt - eine der klügsten modernden Verdi-Regien der letzten zehn Jahre. Das Problem bei Abbado ist aber einerseits, dass er wieder einmal nur ein düsteres Spiel auf die Bühne stellt. Das hatten wir bei Pizzi, haben wir bei Dorn in München, allerdings mit spannenderer Personenführung, selbst Hytner in London/New York macht den spanischen Hof zur finsteren Dunkelkammer.  Schwarz- und Grautöne dominieren auch bei Abbados Inszenierung, kahle Wände in einem nach allen Seiten hin zu öffnenden Kubus zeigen die Auswegloskeit der Figuren (wie schon bei Konwitschny). Die schlichten Kostüme (von Carla Teti) geben ein paar bunte, aber zu unüberlegte Akzente. Große Szenen, wie das Autodafé und die Stürmung des Gefängnisses sind belanglos, ohne Vision umgesetzt. Ausserdem erscheint es problematisch, die Handlung ins 19. Jahrhundert zu verlegen: Spanien als Ort der Handlung ist wenig bis gar nicht definiert, die Inquisition und die politischen Querelen um Flandern sind dann schon längst passé.

Foto: Barbara Zeininger (Der Neue Merker)