Wiener Staatsoper
4. Februar 2012
Margarete, nicht Faust!
Die Faust-Oper des Franzosen Charles Gounod gehört zu einem der beliebtesten Repertoirewerke des Opernbetriebs. Bereits kurz nach der Uraufführung 1859 in Paris trat das Stück auch seinen Siegeszug an deutschen Opernhäusern an, allerdings unter dem Titel "Margarete". Puristen bemängelten die eher oberflächliche Behandlung des Weltepos von Johann Wolfgang Goethe und Fokussierung der Liebesgeschichte zwischen Faust und Margarete durch die französischen Librettisten Barbier und Carré. Und wahrhaftig, im Laufe der Handlung ist es weniger Fausts Suche nach Allmacht, ermöglicht durch die Anrufung Satans (Mèphistophélès), sondern die Geschichte der leidenden Marguerite, ihrer quasi Schändung durch Faust und schlussendlichen Rettung (der Schlusschor singt "sauvée") durch die Hinwendung zu Gott im Tod. Faust und Mephistophélès verschwinden vergleichsweise unscheinbar in der Unterwelt ("jugée"-"gerichtet").
Die Wiener Staatsoper zeigt im Februar ihre aus dem Jahr 2008 stammende, eher belanglose Inszenierung von Nicholas Joel in einer aussergewöhnlichen und interessanten Besetzung. Stilistisch nämlich ist Gounods Musik zwar der französischen lyrischen Oper mit Elementen der Grand Opéra (Chor, Ballett) zuzuordnen. Aufführungsgeschichtlich und die Auswahl der Sängerbesetzung betreffend, gibt es allerdings oftmals Querverbindungen zur deutschen romantischen Oper. So verwundert es nicht, dass ein Tenor wie Rudolf Schock oder die Sopranistin Elisabeth Grümmer, beide genauso im Wagner-Fach zu Hause, Gounods "Faust" auf Deutsch sangen.
In Wien hat man nun mit Jonas Kaufmann und Albert Dohmen zwei erstklassige Wagnersänger auf der Bühne, die sich aber bei Gounod dennoch sehr heimisch fühlen. Kaufmann sang den Faust bereits des Öfteren, zuletzt an der Met in New York. Wie in jeder Rolle, die er angeht, sucht er Lyrismen, gestaltet musikalische Texturen mit seiner baritonal gefärbten, oft gutturalen Stimme und nutzt dabei, zum Vorteil des Ausdrucks, gehauchte Pianos. Strahlende Höhen bewies er in Ensemblepassagen (Duell-Terzett mit Mephistophélès und Valentin) und auch in seiner glanzvoll dar gebrachen Arie des dritten Akts "Salut! demeure chaste et pure", die zu einem seeligen Zwiegespräch zwischen Tenor und Sologeige (Rainer Küchl) aus dem Orchestergraben erwuchs. Albert Dohmen scheint seine Paraderolle, den Wotan im "Ring", nicht abschalten zu können. Gestik und Darstellung erinnern an die Gottheit, sollten aber in der Rolle des Satans durchdachter und zynischer Wirken. So erhält die Rolle einen tollpatschigen Touch. Stimmlich zeigt er dämonische Tiefen und ein breites, deutsch gefärbtes Register, erinnert somit eher an einen Kaspar im „Freischütz“.
Die Marguerite der Albanerin Inva Mula ließ keine Wünsche offen. Sie vermag Lyrismen mit ihrer schönen Stimme in erhabene Kantilenen umzusetzen (Arie "Le roi de Thule") und steuert Koloraturen und Spitzentöne perfekt an (Juwelenarie). Das Liebesduett im dritten Akt mit Jonas Kaufmann wurde, auch dank der breiten elegischen Tempowahl des Dirigenten Alain Altinoglu, zu einem bezaubernden, fast schwelgerischen Moment. Überhaupt muss man dem Staatsopernorchester unter Altinoglu ein Kompliment aussprechen. Selten hört man die Partitur so transparent (Sologeige, Soloklarinette und -cello), dabei zackig in den tanzrhythmischen Passagen, mit wenig üblichem Kitsch. Auch der Staatsopernchor erbrachte eine solide Leistung, zeigte nur ab und zu kraftprotzerisch seine Lautstärke. Adrian Eröd konnte als Valentin mehr als überzeugen. Mit fast fischer-dieskau-ähnlicher liedhafter Stimme gestaltete der helle Bariton Tod und Fluch. Juliette Mars durfte als Siébel zusätzlich die sonst oft gestrichene und erst später von Gounod dazu komponierte Arie im vierten Akt singen. Monika Bohinec stellte eine sinnliche, stimmlich präsente Marthe dar.
Man entschloss sich, obwohl 2008 zur Premiere als (bis auf die Ballettmusik) kompletten "Faust" gepriesen, in der jetzigen Aufführungsserie, die Walpurgisnacht gänzlich zu streichen. Der Szenenverlauf im letzten Drittel verstärkte so die Zentrierung der Figur Margaretes (Arie "Il ne revient pas" - Kirchenszene - Kerker). Alles in allem ein "Faust", den man in dieser Besetzung eventuell gerne als "Margarete" in deutscher Übersetzung gehört hätte.
Video: Faust von der MET New York 2011 mit Jonas Kaufmann